Interkulturelles Lernen
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Interkulturelles Lernen

Interkulturelles Lernen – Inhalte des Artikels

Interkulturelles Lernen

Interkulturelles Lernen gewinnt aufgrund zunehmender internationaler Verflechtungen und bestehender Globalisierungsprozesse immer mehr an Bedeutung. Durch die ansteigende Vernetzung der Welt kommt es immer häufiger zu interkulturellen Kontaktsituationen, sei es im persönlichen oder beruflichen Umfeld, im In- oder Ausland. Um sich in diesen interkulturellen Situationen angemessen orientieren und verhalten zu können, bedarf es interkultureller Handlungskompetenz. Aber was ist eigentlich interkulturelle Kompetenz? Und wie kann man diese erlangen? Auf diese Fragen soll im Folgenden eine Antwort gefunden werden.

Interkulturelles Lernen & interkulturelle Kompetenz

Interkulturelle Kompetenz ist die Fähigkeit, in interkulturellen Interaktionskontexten effektiv und angemessen agieren zu können. Dies geschieht auf der Grundlage von bestimmten Einstellungen und Handlungs-, Interaktions- und Reflexionsfähigkeiten. Hierbei kann als Ausgangspunkt eine generell positive Haltung gegenüber interkulturellen Begegnungen gesehen werden, sowie das Reflektieren der eigenen kulturellen Prägung und kulturellen Gebundenheit. Der Erwerb interkultureller Kompetenz gestaltet sich als ein dynamischer und komplexer Prozess, der als interkulturelles Lernen bezeichnet wird. Interkulturelle Kompetenz setzt somit interkulturelles Lernen voraus.

Interkulturelles Lernen & Erwerb interkultureller Handlungskompetenz

Interkulturelles Lernen ist der Weg zum Erwerb und zur Entwicklung interkultureller Handlungskompetenz. Der interkulturelle Lernprozess ist als fortwährend und dynamisch zu verstehen und basiert auf Differenzerfahrungen von „Eigenem“ und „Fremdem“. Ausgehend von dieser Unterscheidung beinhaltet interkulturelles Lernen Veränderungsprozesse, die die Aneignung der fremden Kultur sowie die Neubestimmung des Verhältnisses zur eigenen Kultur definieren. In dem Prozess geht es einerseits um die Überwindung des eigenen Ethnozentrismus, der kritischen Distanz zur eigenen Kultur und Kulturgebundenheit. Andererseits geht es um den bewussten Umgang mit und der Reflexion von bestehenden Vorurteilen und Stereotypen sowie um das Bewusstsein für andere Kulturen, der Akzeptanz von Kulturunterschieden und der Wertschätzung kultureller Vielfalt.

Interkulturelles Lernen: Ziele

Da interkulturelles Lernen zur Entwicklung interkultureller Kompetenz führen soll, sind die Lerngegenstände immer an theoretische Begriffe und Modelle interkultureller Kompetenz gebunden. Im Folgenden sind die von Weidemann (2007) zusammengestellten möglichen Ziele und Bezugspunkte interkulturellen Lernens aufgelistet:

  •   der Erwerb konzeptuellen Wissens über interkulturelle Inhalte (Kammhuber 2000);
  •   die Entwicklung der Fähigkeit zu „isomorphen Attributionen“ und damit zum Lösen von critical incidents (Thomas 1995);
  •   das Erlernen einer Fremdsprache (z.B. Bechtel 2003);
  •   den Erwerb neuer „social skills“ (Furnham/Bochner 1986)
  •   die Reduzierung von Angst und die Entwicklung von Ambiguitätstoleranz in der Interaktion mit Fremden (Gudykunst/Kim 2003);
  •   die hierfür erforderliche Entwicklung der Fähigkeit zur Emotionsregulation (Matsumoto/Yoo/Nakagawa 2008);
  •   das Entwickeln von Bewusstheit für die kulturelle Dimension sozialer Interaktionen (Brislin/Yoshida 1994);
  •   die Genese der generalisierten Fähigkeit, sich in fremdkulturellen Umgebungen schnell zu orientieren (Thomas 1988) oder die Entwicklung einer Haltung der aufmerksamen Informationsverarbeitung (mindfulness) (Gudykunst/Kim 2003).
  • die Steigerung von Flexibilität und Anpassungsfähigkeit.1

Kognitive, affektive und behaviorale Trainingsziele

Die einzelnen Komponenten interkultureller Kompetenz und somit die Ziele interkulturellen Lernens vollziehen sich in unterschiedlichem zeitlichem Rahmen, in mancher Hinsicht unabhängig voneinander oder aber in miteinander verbundenen und sich bedingenden Lernprozessen.2 Um die Ziele interkulturellen Lernens zu erreichen, sollten verschiedene Lernmethoden zum Einsatz kommen, die die kognitiven, affektiven und behavioralen Lernebenen ansprechen:

  • Kognitive Trainingsziele zielen auf den Erwerb interkulturellen Wissens ab. Hierbei geht es um den theoretischen Erwerb interkultureller Inhalte. Dazu zählen neben historischen, gesellschaftlichen und politischen Fakten über verschiedene Kulturen auch Wissen über „Kultur“ im Allgemeinen (z. B. Definitionen), Wissen um eigene und fremde Kulturgebundenheit als auch Wissen über Kulturtheorien und -konzepte (Kulturelle Orientierungen / Kulturstandards / Kulturdimensionen).
  • Affektive Trainingsziele fokussieren den Erwerb und Ausbau interkultureller Sensibilität. Neben einer grundsätzlich positiven Einstellung gegenüber fremden Kulturen und einem sensiblen Umgang mit kulturbedingten Unterschieden geht es um den Abbau von Ängsten in interkulturellen Überschneidungssituationen und um die Steigerung der Empathiefähigkeit.
  • Behaviorale Trainingsziele streben die Erweiterung des Handlungsrepertoires an. Durch die Befähigung zum Umgang mit Konflikten und durch das Kennenlernen und „Erlernen“ fremdkultureller Verhaltensarten können neue oder modifizierte kulturangemessene Handlungsweisen gewonnen werden.

Wechselseitige Bedingung der Trainingsziele

Die genannten Trainingsziele ergänzen sich wechselseitig und sind zum Teil auch nicht klar voneinander abzugrenzen. Insgesamt sollte bei einem Training darauf geachtet werden, dass die Lernebenen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen und keine einseitige Überbetonung stattfindet.

„Das ausschließliche Erlernen neuer Verhaltensweisen ohne die dahinterstehenden kulturspezifischen Muster des Wahrnehmens, Denkens, Fühlens und Handelns zu verstehen, macht den Trainee zu einem „Kultur-Papagei“, der, sobald eine dieser Verhaltensweisen in der Komplexität des fremdkulturellen Kontexts nicht zum Ziele führt, keine kognitiven Möglichkeiten besitzt, sein Handeln kulturadäquat zu evaluieren und eventuell zu modifizieren“.3

Informelles und formelles interkulturelles Lernen

Interkulturelles Lernen und damit verbundene Lernprozesse lassen sich zunächst in zwei Kategorien unterteilen:

  1. Informelles interkulturelles Lernen bezeichnet die mehr oder weniger nebenbei bzw. zufällig gemachten kulturellen Differenzerfahrungen, die Menschen – gewollt oder ungewollt – in ihrer alltäglichen Umgebung erleben. Diese gemachten Erfahrungen müssen aber nicht immer zu interkultureller Kompetenz führen, da sie selten bewusst geschehen und somit meist nicht reflektiert werden.
  2. Formelles interkulturelles Lernen bezeichnet bewusst geplante und organisierte interkulturelle Lernprozesse. Hierbei werden Situationen initiiert und Kontexte, in denen interkulturelles Lernen vorbereitet und systematisch stattfindet, geschaffen. Geplantes interkulturelles Lernen findet meist in Form des interkulturellen Trainings statt, durch welches Prozesse interkulturellen Lernens gewährleistet und beschleunigt werden.4

Interkulturelle Lernprozesse, die zur Erlangung interkultureller Handlungskompetenz führen, können nach Bolten (2007) in Maßnahmen off-the-job und on-the-job eingeteilt werden. Off-the-job bezieht sich auf Trainings die nicht direkt mit der Arbeitssituation verbunden sind und davon losgelöst stattfinden, wie z. B. externe Fort- und Weiterbildungen. Trainings, die zur Arbeit gehören, z. B. Maßnahmen zur Betreuung beziehungsweise Begleitung verschiedener Arbeitsprozesse, finden on-the-job statt.

Trainingstypen interkulturellen Lernens Bolten
IKUD® Seminare

Abb.1: Trainingstypen interkulturellen Lernens. Eigene Darstellung nach Bolten 2007: 88.

Interkulturelles Lernen – Off-the-job

Inhaltlich gliedern sich die Trainings, die off-the-job durchgeführt werden, in ‚kulturübergreifend‘ und ‚kulturspezifisch‘. Kulturübergreifende Trainings sind dadurch gekennzeichnet, dass es bei den Zielen um eine allgemeine Sensibilisierung für interkulturelle Kontexte geht. Hierzu gehören unter anderem, sich der Besonderheiten der eigenen kulturellen Gebundenheit bewusst zu werden, Gemeinsamkeiten aber auch Differenzen in interkulturellen Situationen wahrzunehmen, zu hinterfragen und zu reflektieren. Unterschieden werden können hier wiederum trainerorientierte/kognitive und erfahrungsorientierte Trainingsformen.

Trainerorientierte, kognitive Trainings

Trainerorientierte, kognitive Trainings sind Seminare oder Veranstaltungen – nicht unbedingt Trainings im eigentlichen Sinne – die zur Einführung in die interkulturelle Thematik dienen. Hierbei werden grundlegende Inhalte vermittelt, die sich mit ‚Kultur‘, ‚Interkulturalität‘ und ‚Fremdheit‘ beschäftigen. Auf bestimmte, konkrete Kulturen wird nur zur Verdeutlichung zurückgegriffen, um durch Fallbeispiele ein generelles Verständnis für bestehende Unterschiede in der Wahrnehmung und im Verhalten von eigenen und fremden Kulturen zu erzeugen. Zu den Themen, die innerhalb des kulturübergreifenden Trainings meist bearbeitet werden, gehören neben Stereotypen und Vorurteilen, Selbst- und Fremdwahrnehmung, Ethnozentrismus, Chancen und Problemen der multikulturellen Zusammensetzung von Gesellschaft, Unternehmen und Teams auch der Zusammenhang von Kultur und Gesellschaft, Politik, Religion etc. Um diese Inhalte zu übermitteln, handelt es sich bei den angewandten Trainingsmethoden meist um Vorträge, Diskussionen und kleinere Gruppenarbeiten zu bestimmten Themengebieten.5

Laut Bolten (2007) können die meisten kulturunspezifischen trainerorientierten/kognitiven Trainingsformen mit folgenden Charakteristika zusammengefasst werden:

  •   „Positiv: Hoher kognitiver Lerneffekt in Bezug auf das Verständnis interkultureller Kommunikationsprozesse.
  •   Negativ: Gefahr eines für manche Zielgruppen zu akademischen bzw. abstrakten thematischen Zugangs“.6

Interkulturelle Überschneidungssituationen & interkulturelles Lernen

Letzterer Gefahrenpunkt ist angesichts der realen interkulturellen Überschneidungssituationen, denen sich Teilnehmende eines interkulturellen Trainings beispielsweise im Arbeitsalltag gegenüber sehen und in denen es zu Konflikten kam, die sie überhaupt erst dazu bewegten, ein solches Training zu besuchen, nicht hoch genug zu bewerten. Die Erfahrung zeigt, dass kulturunspezifische Trainings, die mit rein oder vorwiegend kognitiven Trainingselementen arbeiten, kaum einen Effekt für die Praxis erzielen. Ein akademischer Vortrag über verschiedene Kulturdefinitionen bietet – ein Beispiel – den Mitgliedern eines deutsch-russischen Teams keine Hilfe bei der Implementierung einer gemeinsamen interkulturell sensiblen Gesprächskultur, die für ein aktuelles Projekt notwendig wäre.7

Bei den erfahrungsorientierten Trainingsformen, die zur allgemeinen interkulturellen Sensibilisierung beitragen, werden häufig Simulationen und Rollenspiele eingesetzt. Diese ermöglichen den Interakteuren das Erleben einer Fremdheitserfahrung. Denn die Skripte, nach denen die Teilnehmer agieren, entsprechen weder dem eigenen Standard-Handlungsrepertoire, noch führen sie zu einer reibungslosen Interaktion. Die Simulationen und Rollenspiele basieren dabei meist auf demselben Grundschema: Die Teilnehmenden bilden zwei Gruppen, die jeweils fiktive und einander „entgegengesetzte“ Kulturen repräsentieren und ihrem kulturellen Skript innerhalb eines bestimmten Handlungsrahmens folgen müssen. Missverständnisse sind vorprogrammiert. Innerhalb der Simulation/ des Rollenspiels entsteht dadurch eine ‚interkulturelle‘ Überschneidungssituation, wodurch bei den Teilnehmer/innen je nach Aufgabenstellung folgende Kompetenzen trainiert werden können: Rollendistanz, Ambiguitätstoleranz sowie die Fähigkeit zur Änderung des Verhaltens. Als Beispiele für Simulationen sind hier „Bafá-Bafá“, „Barnga“, „Ecotonos“ und das „Fünf-Kulturen-Spiel“ zu nennen.

Vorteile und Nachteile von Simulationen/Rollenspielen

Vor- und Nachteile von Simulationen/Rollenspielen als erfahrungsorientierte Trainingsformen beurteilt Bolten (2007) folgendermaßen:

  •  „Positiv: Rahmenbedingungen interkulturellen Handelns (Fremdheitserfahrungen, fehlgeleitete Handlungserwartungen etc.) werden inszeniert und erfahrbar.
  •   Negativ: Aufgrund der fiktiven Kontexte werden die Spiele häufig nicht ernst genommen, was dazu führen kann, dass die Verantwortung für Misserfolge nicht eingesehen oder übernommen wird („In Wirklichkeit hätte ich mich anders verhalten“) Sofern die „exotischen“ Kulturen so konstruiert sind, dass sie Bezüge zu tatsächlich existierenden Kulturen nahe legen, kann es zu unbeabsichtigten Vorurteilsverstärkungen kommen“.8

Positive Erfahrung mit erfahrungsbildenden Trainingselementen

Die Erfahrung in der Praxis zeigt jedoch deutlich, dass erfahrungsbildende Trainingselemente eine enorme Wirkung haben und die positiven Effekte eindeutig überwiegen. Teilnehmende machen hier Erfahrungen, die auch die emotionale Ebene ansprechen und intergieren und somit eine besondere Nachhaltigkeit besitzen. In Evaluationen von Interkulturellen Trainings sind es immer wieder gerade die erfahrungsbildenden Methoden, die von Teilnehmerinnen und Teilnehmern als besonders effektiv und spannend bewertet werden.9

Kulturspezifische Trainings befassen sich mit einzelnen (häufig National-)Kulturen, ihr Ziel ist sowohl die kognitive als auch die erfahrungsbezogene Auseinandersetzung mit einer konkreten Kultur. Diese Trainings dienen meist als Vorbereitung für Entsendungen oder helfen in einem spezifischen Arbeitskontext, z. B. bei der Zusammenarbeit in multinationalen Teams. Auch kulturspezifische Trainings können in trainerorientierte/kognitive und erfahrungsorientierte kulturspezifische Trainings eingeteilt werden.

Interkulturelles Lernen – On-the-job

Bei interkultureller Kompetenzentwicklung on-the-job handelt es sich um Personalentwicklungsmaßnahmen, die aufgrund von zunehmenden Globalisierungsprozessen und steigender Internationalisierungsgeschwindigkeit immer mehr an Bedeutung gewinnen. Nicht immer bleibt dabei Zeit, intensive interkulturelle Trainings, die off-the-job stattfinden, durchzuführen. Zu den Maßnahmen on-the-job zählen interkulturelles Coaching und interkulturelle Mediation. Die Aufgabe besteht hierbei darin, multikulturelle Teams am Arbeitsplatz zu begleiten und ihnen bei der Verbesserung ihrer Zusammenarbeit zu helfen (interkulturelles Coaching) bzw. die Vermittlerposition in Konflikten einzunehmen (interkulturelle Mediation). On-the-job Maßnahmen schließen interkulturelle Trainings off-the-job nicht aus, sondern sind mehr oder weniger als eine positive Ergänzung zu ihnen zu verstehen.

Interkulturelles Coaching & interkulturelles Lernen

Bei interkulturellem Coaching handelt es sich entweder um die Begleitung und Beratung von einzelnen Personen, die in interkulturellen Situationen arbeiten oder aber auch um die Begleitung, Beratung und Bildung internationaler Teams. Der Coach ist derjenige der den Blick für eine bessere interkulturelle Zusammenarbeit öffnet. Er darf allerdings keine Handlungswege vorgeben, sondern soll die Prozesse dahingehend unterstützen und begleiten.

Verfahren interkultureller Mediation beziehen sich auf die konkrete Lösung eines bestehenden Konflikts. Hierbei hat der Mediator die Rolle des Vermittlers zwischen den Beteiligten des Konflikts. Bei interkultureller Mediation besteht der Konflikt zwischen Personen unterschiedlicher kultureller Herkunft, die Aufgabe besteht darin, die vermeintlich kulturbedingte Ursache zu erfassen und den Medianten Anregungen zur Lösung dieser zu geben. Wichtig hierbei ist, dass diese von den Beteiligten selbst erarbeitet werden muss.10

Situierte Lernumgebungen – Interkulturelle Anchored Inquiry

Als Beispiel interkultureller Lernmethoden soll die „Interkulturelle Anchored Inquiry (IAI)“ von Kammhuber (2000) vorgestellt werden, da sie transferwirksames Lernen anhand lebensrelevanter Probleme ermöglichen kann. Sie basiert auf den folgenden Prinzipien des situierten Lernens:

  1. Lernen ist ein dialektischer bzw. transaktionaler Prozess zwischen Person und Umwelt.
  2. Lernen bedeutet die Erweiterung oder Modifizierung der Wahrnehmung und des Nutzens von Handlungsmöglichkeiten der Umwelt.
  3. Lernen ist ein aktiver und konstruktiver Akt.
  4. Lernen ist ein sozialer und kooperativer Bedeutungsgebungsprozess.
  5. Lernen ist abhängig von sprachlichen Reflexionsprozessen.
  6. Lernen ist immer situiert.
  7. Lernen ist eine Folge des Erfahrens von realen und subjektiv relevanten Handlungsbarrieren.
  8. Lernen bedeutet, sich in eine Gemeinschaft von Lernenden zu enkulturieren.
  9. Lernen ist ein identitätsstiftender Prozess.11

Ausgangspunkt der IAI sind Problemsituationen, z. B. erlebte kritische Ereignisse. Die Fremdheitserfahrungen dienen als „Anker“, mittels derer sich die Teilnehmer und Teilnehmerinnen interkulturelles Wissen und Handeln aneignen können.12 Der Lernzyklus der Interkulturellen Anchored Inquiry gestaltet sich wie folgt:

Interkulturelle Anchored-Inquiry nach Kammhuber - Grafik
IKUD® Seminare

Zyklus der Interkulturellen Anchored Inquiry in sieben Schritten

Insgesamt beinhaltet der Zyklus der IAI sieben Schritte, die folgende Aspekte beinhalten:13

  1. Kritische Interaktionssituation: Die kritische Interaktionssituation, auch kritisches Ereignis genannt, bietet einen wichtigen Kontext für interkulturelles Lernen. Denn interkulturelles Wissen erhält durch interkulturelle Überschneidungssituationen erst seine Bedeutung.
  2. Eigene Interpretation des Handlungsgeschehens: Die Lernenden sollen nach der Beobachtung eines kritischen Ereignisses zunächst eigene Interpretationen und Vermutungen über die Dynamik der Interaktion formulieren. Hierzu zählen neben Erklärungsmöglichkeiten hervorgerufene Emotionen und mögliche Handlungen, aber auch deren Grenzen.
  3. Generierung multipler Interpretationsperspektiven: Hier steht die Erweiterung des Wahrnehmungsfeldes im Mittelpunkt. Die Lernenden tauschen sich über ihre Interpretationen aus und erfahren so andere Perspektiven. Dadurch werden verschiedene Blickwinkel in Bezug auf die Interaktionssituation deutlich und es werden unterschiedliche Aspekte beleuchtet.
  4. Reflexion der Interpretationsperspektiven: Die vorher gesammelten Perspektiven führen in einen gemeinsamen Reflexionsprozess über die vorgenommenen Interpretationen, sowohl hinsichtlich des Inhalts des kritischen Ereignisses als auch der Art und Weise wie eine Interpretation gemacht wurde und welche Vorannahmen dieser vorrausgingen. Hierbei geht es um die Reflexion der eigenen und fremden Kulturgebundenheit.
  5. Generierung multipler Handlungsperspektiven: In dieser Phase geht es um die Reflexion der Handlungsmöglichkeiten. Das Zusammenführen verschiedener Handlungsperspektiven in der gleichen Interaktionssituation bietet den Lernenden die Möglichkeit ihre eigene Wahrnehmung um neue Perspektiven zu erweitern.
  6. Reflexion der Handlungsfolgen: Hierbei werden die möglichen Konsequenzen der bereits erarbeiteten Handlungsalternativen diskutiert und reflektiert. Dies geschieht ohne eine Bewertung der Handlungsfolgen.
  7. Metakontextualisierung: An dieser Stelle ist die Metakontextualisierung des bereits konstruierten Wissens nötig. Dieses geschieht durch die Verknüpfung der erarbeiteten kritischen Ereignisse mit den Kulturdimensionen oder Kulturstandards und gemachten Erfahrungen.

SPATEN-Modell zum Thema interkulturelles Lernen von Thomas, Layes und Kammhuber

Nach den sieben Schritten folgt zum Abschluss die Internationalisierung der Interkulturellen Anchored Inquiry. Damit der Lernende die in der IAI gemachten Erfahrungen verinnerlicht und auch auf andere Situationen übertragen kann, ohne in verzerrte Bewertungsmuster zu verfallen, ist das SPATEN-Modell (Thomas / Layes / Kammhuber 1998) geeignet:
“Der SPATEN” folgt sechs Schritten:

  1. Stopp des automatischen Bewertungsprozesses (Vermeidung des fundamentalen Attributionsfehlers)
  2. Präzisierung der Irritation (Genaue Problemdefinition)
  3. Andere Einflussfaktoren berücksichtigen (Einnahme multipler Perspektiven)
  4. Thematisierung der eigenen Erwartungen an eine monokulturelle Situation
  5. Eigenkulturelle Standards reflektieren
  6. Nach möglichen fremdkulturellen Standards suchen (Einbezug konzeptueller Werkzeuge)

Der SPATEN stellt eine Reflexionsmöglichkeit für interkulturelle Interaktionssituationen dar, nach deren Abschluss Handlungsoptionen generiert und auf ihre Konsequenzen hin eingeschätzt werden und schließlich die der Situation und Person angemessenste Option ausgewählt wird“.14
Anhand der IAI wird deutlich, wie interkulturelles Lernen aussehen kann und wie es sich vollzieht.

Interkulturelles Lernen als Prozess zur Entwicklung interkultureller Kompetenz

Interkulturelles Lernen ist der Prozess zur Entwicklung interkultureller Kompetenz. Er unterstützt den Umgang in interkulturellen Überschneidungssituationen und erleichtert die Interaktion von Personen fremdkultureller Herkunft. Durch interkulturelles Lernen, z. B. in Form interkultureller Trainings, können Kulturkontrast-Erfahrungen besser gemeistert werden. Dies geschieht durch die Reflexion eigener und fremder Kulturgebundenheit und die Kenntnis kultureller Inhalte und führt zur Erweiterung eigener Einstellungen und Handlungsweisen.

Fußnoten:

1 Weidemann 2007: 494, zitiert nach Straub 2010: 37.
2 Vgl. Straub 2010: 37.
3 Kammhuber 2000: 14.
4 Vgl. Kammhuber 2000: 5ff. und Straub 2010: 39.
5 Vgl. Bolten 2007: 89ff.
6 ebd.:91.
7 Vgl. IKUD® Seminare 2011.
8 Bolten 2007: 93.
9  Vgl. IKUD® Seminare 2011.
10 Bolten 2007: 107f.
11 Kammhuber 2000: 73.
12 Vgl. Kammhuber 2010: 67.
13 Vgl. Kammhuber 2000: 111ff.
14 Kammhuber 2000: 117.

Literaturangaben:

Bolten, Jürgen (2007): Interkulturelle Kompetenz. Erfurt: Landeszentrale für politische Bildung Thüringen.
IKUD® Seminare (2011): Evaluation Interkulturelle Trainings 2006-2011. Göttingen: Internes Arbeitspapier.
Kammhuber, Stefan (2000): Interkulturelles Lernen und Lehren. Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag.
Kammhuber, Stefan (2010): Interkulturelles Lernen und Lehren an der Hochschule. In: Hiller, Gundula Gwenn / Vogler-Lipp, Stefanie (Hrsg.). Schlüsselqualifikation Interkulturelle Kompetenz an Hochschulen – Grundlagen, Konzepte, Methoden. Wiesbaden: VS Verlag; GWV Fachverlage. S.57-72.
Lüdemann, Otto (2006): Identät und Masken – Kreativwerkstätten für interkulturelles Lernen: In: Nicklas, Hans et al.: Interkulturell denken und handeln – Theoretisch Grundladen und gesellschaftliche Praxis. Frankfurt: Campus Verlag. S. 336 – 344.
Straub, Jürgen (2010): Lerntheoretische Grundlagen. In: Wiedemann, Arne / Straub, Jürgen / Nothnagel, Steffi (Hrsg.). Wie lehrt man interkulturelle Kompetenz? Theorien, Methoden und Praxis in der Hochschulausbildung – Ein Handbuch. Bielefeld: transcript Verlag. S.31-98.

Zitierweise
Wenn Sie diese Veröffentlichung zitieren möchten, so möchten wir Sie der Fairness und Rechtmäßigkeit halber um folgende Quellenangabe bitten:

IKUD® Seminare (Erscheinungsjahr): „Titel des Textes “, unter: https://www.ikud-seminare.de/LINKNAME.HTML (abgerufen am xy.xy.xxxy).

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